Hallo Leute,
Nun noch einmal meine Frage: Welches Produkt ist in diesem Stadium geeignet, die KH konstant zu halten, ohne weitere Makroelemente zuzuführen?
Leider keins das praktikabel wäre.
Ich möchte jetzt nicht penibel auf einzelne Argumente eingehen damit wir uns die nächsten Stunden nicht im Kreis drehen müssen. Damit die interessierten Leser aber einen Einblick in die hier diskutierte Problematik bekommen, erkläre ich diese gerne und nenne einen möglichen Lösungsansatz für Steinkorallenaquarien und Aquarien mit gemischtem Besatz. Ich versuche die Thematik so einfach wie möglich zu erklären und nicht den Klugsch... raushängen zu lassen. Allerdings muss ich dafür etwas weiter ausholen. Los gehts:
Natürliches Meerwasser setzt sich aus einer Vielzahl von chemischen Elementen zusammen die in einem festen Verhältnis zueinander stehen. An diesen Verhältnissen ändert sich in der Natur nichts großartig oder schnell - ausser z.B. durch lokale Phänomene wie Ebbe und Flut, gepaart mit einer deftigen Süßwasserdusche, besser bekannt als Regen.
Im Gegensatz zum Meer ist jedes unserer Aquarien nur ein Tropfen. Hier gibt es keine große Pufferkapazität die den Verbrauch der Tiere nahezu unendlich lange ausgleichen kann. Als Folge verändert sich die Zusammensetzung unseres Aquarienwassers mitunter recht schnell. Gleichen wir den Verbrauch der Tiere aus, verändern wir erneut die Zusammensetzung des Aquarienwassers. Wenn wir diesen Ausgleich nur einseitig oder nicht zielgerichtet vornehmen, entspricht die Zusammensetzung unsers Aquarienwassers schon nach kurzer Zeit nicht mehr der von natürlichem Meerwasser.
Hier kommt der Begriff Ionenverschiebung dann ins Spiel. Wenn man es ganz eng sieht, dann ist eine Ionenverschiebung bereits jede noch so kleine Veränderung in der Zusammensetzung von Meerwasser die nicht der Norm entspricht. Der natürliche Chloridwert bei einer Salinität von 35 liegt bei (ca.) 19500 mg/l, wenn man es ganz eng nimmt läge eine Ionenverschiebung unter gleichen Bedingungen schon vor wenn der Chloridwert bei (ca.) 19501 mg/l liegen würde.
Wir, die Aquaristen, haben jedoch herausgefunden dass unsere Aquarienbewohner gewisse Toleranzbereiche akzeptieren und wir eine Ionenverschiebung daher nicht ganz so eng sehen müssen (Die Toleranzbereiche können sich jedoch von Art zu Art stark unterscheiden). Trotzdem müssen wir eine Ionenverschiebung im Hinterkopf behalten - vor allem die Verschiebung von Natrium zu Chlorid, da wir diese zu Hause nicht messen können.
Kommen wir zum eigentlichen Problem und zu dem wovor Oliver eigentlich warnen wollte. Era schreibt dass er jeden Tag einen halben Teelöffel hinzugibt um die KH zu erhöhen. Ich denke auf dem Teelöffel befindet sich der Klassiker für diesen Zweck: Natriumhydrogencarbonat. Nach dem das Carbonat aufgebraucht ist bleibt Natrium übrig und reichert sich mit der Zeit im Aquarienwasser an (Natrium wird so gut wie gar nicht verbraucht).
Im natürlichen Meerwasser sind bei einer Salinität von 35 ca. 10770 mg/l Natrium enthalten und ca. 19500 mg/l Chlorid - Auf 1 mg Natrium kommen also 1,81 mg Chlorid.
Era erhöht durch seine Vorgehensweise zurzeit ausschließlich den Natriumwert. Hierdurch verändert sich das Verhältnis von Natrium zu Chlorid. Nach kurzer Zeit kommen auf 1 mg Natrium dann nur noch 1,79 mg Chlorid - Eine Ionenverschiebung die NOCH zu vernachlässigen ist. Gibt Era nun aber ein paar Monate lang jeden Tag einen halben Teelöffel Natriumhydrogencarbonat hinzu so wird er irgendwann den Toleranzbereich seiner Aquarienbewohner verlassen. In einem unserer Testbecken haben wir so etwas mal simuliert. Als auf 1 mg Natrium nur noch 1,5 mg Chlorid kamen gab es schon massive Probleme (Richtige Werte 13050 mg/l Natrium und 19500 mg/l Chlorid). Eine Situation die nicht anzustreben ist.
Des Weiteren wurde erwähnt dass es bei neu eingerichteten Aquariensystemen vorkommen kann, dass die verwendete Dekoration (Gestein, Sand, etc) Stoffe wie Calcium an das Wasser abgibt und somit die Werte im Aquarienwasser steigen. Geppart mit einem einseitigen Ausgleich der Karbonathärte durch Natriumhydrogencarbonat verändert sich hier nicht nur das Verhältnis von Natrium zu Chlorid, sondern auch das von Calcium zu den anderen Ionen - eine Situation die zusätzlichen Stress für die Aquarienbewohner bedeutet.
Bevor wir Era einen endgültigen Lösungsvorschlag nennen können, müssen wir klären was er eigentlich in seinem Aquarium halten möchte?
Ich nehme dies für ein geplantes Steinkorallenaquarium oder ein Aquarium mit gemischtem Bestaz vorweg und schließe mich Olivers Lösungsvorschlägen an (weil ich der gleichen Meinung bin und nicht weil er mein Chef ist
A.) Ein großer Teilwasserwechsel zur Korrektur der bereits verursachten Ionenverschiebung. Hierdurch wird das Aquarienwasser weitestgehend resetet.
B.) Der Einsatz von viel mehr Verbrauchern, vorzugsweise SPS-Korallen wie Montipora und bei geeigenten Wasserwerten auch Acropora. Diese entziehen dem Wasser relativ viel Calcium. Das Calcium, dass zu Beginn mitunter aus der Dekoration freigesetzt werden kann, reicht dann i.d.R. nicht aus um den Verbrauch zu decken. Genauer: Je mehr Calcium-Verbraucher vorhanden sind, desto weniger wirkt sich das freigesetzte Calcium auf die Chemie des Aqaurienwassers aus. Da hierdurch ein richtiger/messbarer Verbrauch erzeugt wird kann zu dessen Ausgleich auf ein Versorgungssystem zurückgegriffen werden. Hierdurch bleibt ein einseitiger Ausgleich aus und eine Ionenverschiebung kann, je nach Versorgungssystem, ganz oder zumindest teilweise verhindert werden. Durch den Einsatz von mehr Verbrauchern kommt die Biologie in dem jungen Aquarium zudem schneller in Fahrt - ein zusätzlicher positiver Effekt.
c.) Ob nun noch regelmässige Wasserwechsel zur Korrektur einer schleichenden Verschiebung zwischen Natrium und Chlorid nötig werden hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B.
- das verwendete Versorgungssystem
- der Anwendung des verwendeten Versorgungssystems (Mengenmässige Zugabe der Natrium und Chlorid liefernden Bestandteile des Versorgungskonzeptes)
Ein reines Weichkorallenaquarium hat i.d.R. zwar größere Toleranzbereiche, kann jedoch mit dem heutigen Stand der Technik nicht so einfach und optimal versorgt werden wie ein Steinkorallenaquarium oder Aquarium mit gemischtem Besatz.
Ich hoffe ich konnte euch mit diesem Beitrag die Problematik einer Ionenverschiebung etwas verdeutlichen und dass Ihr nun ein etwas besseres Verständnis hierfür habt.
LG,
Ben
Trivia: Wenn man das Buch von Armin Glaser (Ratgeber Meerwasserchemie) liest, dann wird man darüber aufgeklärt dass der Begriff Ionenverschiebung eigentlich ein anderes Phänomen beschreibt. Das von uns mit dem Begriff Ionenverschiebung verbundene Phänomen ist eigentlich eine Verschiebung der Ionenbalance.