Es lässt mir keine Ruhe, auch wenn es off topic ist: Ich will nochmal auf das Thema Denitrifikation in Lebendgestein zurückkommen und warum ich Schwierigkeiten habe, daran zu glauben.
Ich halte das nämlich für ein immer wieder gerne zitiertes Dogma, das seine Ursache in irgendjemandem hat, der mal nachgedacht hat.
Dabei hat er zwar pfiffig nachgedacht, aber meiner Meinung nach doch nicht weit genug. Doch die Idee klingt überzeugend und wurde begeistert aufgenommen aber auch durch huntertfaches Abschreiben wird sie nicht bewiesener.
Wie kam man wohl überhaupt auf die Idee. Nun, ich denke, das dürfte so gewesen sein:
Fakt ist, Lebendgestein in einem Seewasseraquarium senkt den Nitratwert statistisch signifikant im Vergleich zu einem Kontrollbecken.
Fakt ist auch, dass im Kreislauf des Stickstoffs Nitrat durch Denitrifikation in gasförmigen Stickstoff überführt wird.
Auch haben Mikrobiiologen früh (In meeresaquaristischer Geschichtssicht) denitrifizierende Bakterien in marinen Gesteinen nachgeweisen (Risk, M. J. and Muller, H. R. 1983. Porewater in Coral Heads: Evidence for Nutrient Regeneration. Limnology and Oceanography, 28: 1004-1008.) .
Also liegt doch die Schlussfolgerung nahe, dass Lebendgestein über Denitrifizierung zur Nitratredultion im Aquarium beiträgt, oder?
Aber hat das je jemand wirklich genau untersucht? Ich habe nichts darüber gefunden, nur immer wieder die Wiederholung derselben theoretischen Überlegungen.
Theoretische Überlegungen kann man aber auch anders angehen: Denitrifizierende Bakterien sind eigentlich alle nur fakultativ anaerob und gedeihen auch in leicht aerobem Millieui prima - sie atmen dann normal Sauerstoff. Nur in sehr strikt anaerobem Millieu schalten sie dann auf Nitratatmung, sprich Denitrifikation um. Schon die beteiligten Enzyme sind extrem Sauerstoffempfindlich. Dass man die Bakterien irgendwo findet, auch in großer Zahl, ist also erstmal kein direkter Hinweis auf vorhandene Denitrifikationsaktivität.
Wenn sie denitrifizieren, brauchen sie eine stetige Nährstoffzufuhr und Stoffwechselproduktabfuhr bei strikt anaeroben Bedingungen. Schon geringe Sauerstoffpartialdrücke unterbinden die Denitrifikation komplett. Es muss also ein kontinuierlicher langsamer Wasserfluss druch das Lebendgestein stattfinden, ohne dass Suaerstoff eingetragen wird. Wenn es porös ist, geht das prima mit dem Fluss, aber gerade durch die Porösität ist auch die Zugänglichkeit für sauerstoffhaltiges Aquarienwassr hoch. Bei Diffusionswegen von wenigen Zentimtern müssten enorme Sauerstoffverbrauchende Prozesse einsetzen, um im Zentrum der Steinstrukturen noch signifikant anaerobe Zonen zu produzieren. Hinzu kommt, dass Meerwasser sulfatreich ist. Sulfat ist das Atmungssubstrat der Sulfatatmer (irgendwie logisch). Das sind Bakterien, die genauso anaerobe Bedingungen brauchen, wie die Denitrifikanten, aber eben bei uhrer Atmung Sulfat zu Schwefelwasserstoff reduzieren. Schwefelwasserstoff ist schwarz, stinkt und ist hochtoxisch. Das wollen wir nicht im Aquarium. Wenn nun großflächig gute Bedingungen für Denitrifikation herrschen würde, würden aufgrund der Komposition des Meerwassers ebenso perfekte Bedingungen für Schwefelatmung herrschen. In einem zugeschalteten Bioreaktor bekommt man es durch die "Zufütterung" so hin, dass die Desulfurikanten zurückgedrängt wwerden. Im offenen Aquarium hat man diese Kontrolle nicht und somit ein hohes Risisko, dass anaerobe Zonen Desulfurikanten nareichern, die giftigen H2S produzieren.
Paradoxerweise warnen ja viele - zu recht übrigens- davor, zu tiefen Bodengrund zu verwenden, da dort anaerobe Zonen entstehen können, in denen genau das passiert. Das Problem ist also bekannt. Anaerobe Zonen im Boden böse, anaerobe Zonen im LS aber gut? Wie soll sich das begründen.
Warum aber senkt dann Lebendgestein trotzdem den Nitratwert? Nun, auch dazu kann man sich alternative Szenarien vorstellen, die auch mit Biofilmen zu tun haben. Korallenriffe sollten ja aufgrund der Biofilme eigentlich Algen- oder Bakterienriffe heissen, denn das sind die Lebewsen, die dort die am weiten größte Biomasse bilden. Und wo tun sie das? Genau, an und in Lebendgestein, Schon 1955 haben die Odums (Odum H. T. and E. P. Odum. 1955. Trophic Structure and Productivity of a Windward Coral Reef Community on Eniwetok Atoll. Ecological Monographs. 25: 291-320) das mal aus der perspektive des Algenfreundes untersucht und Algen überall auf und auch im Gestein gefunden. Und zwar in enormer Arten- und Individuenzahl. Algen aber nehmen Nitrat als Nährstoff auf und entziehen es dem System. Ded Bakterien der Biofilme tun das auch. Tote und absterbende Biofilme haben den aufgenommenen Stickstoff noch in Makromolekülen fixiert, die gut abgeschäumt werden können. Also kann der Effekt des Nitratverschwndens absolut nachhaltig sein, ohen dass Denitrifikation eine Rolle spielt.
Soweit meine Überlegungen dazu. Wie gesagt. So oft es auch wiederholt wird. An Denitrifikation in für das System Aquarium relevantem Ausmass in Lebendgestein kann ich einfach nicht glauben.
Ich lasse mich aber überzeugen und würde mich sehr freuen, wenn mir jemand Untersuchungen zeigt, die einwandfei erhebliche Denitrifikation im genannten System nachweisen.
Viele Grüße
Ingo