Hallo, Herr Lehmann!
Danke dass Du Dich mir gegenüber so offen und zurückhaltend beteiligst, das freut mich sehr, wenngleich wir auch gerne kontrovers diskutieren können. Beni und ich stehen in Mailkontakt und er wird auch von mir betreut. Jede offen und sachlich geführte Diskussion hat auch für alle Beteiligten einen Lerneffekt, so dass Du Dich durchaus auch gerne mit Deinen eigenen Erfahrungen einbringen kannst. Wir hatten ja beide auch schon netten Kontakt und ich freue mich auf viele produktive Diskussion. Freut mich sehr, dass Du hier kürzlich auch administrative/moderatorische Aufgaben übernommen hast. Das ist eine Menge Arbeit, das wissen die wenigsten zu schätzen.
@ Beni,
der frühe Korallenbesatz soll, sagen wir es mal ganz verallgemeinert, die populationsökologische Richtung für das Ökosystem definieren. Gegen Mikroalgen, wie Du sie jetzt hast, wirst Du mit einem frühen Korallenbesatz nicht unbedingt etwas ausrichten können. Einzeller sind grundsätzlich oder nur in wenigen Ausnahmefällen bezogen auf sich dynamisch verhaltene Änderungen in den Umweltbedingungen (wie sie nach dem Beckenstart oft vorliegen) gegenüber Vielzellern vielseitiger, stoffwechseltechnisch oft bevorteilt, und damit einfach anpassungsfähiger. Solche Pionierorganismen kommen schnell mit einem hohen Vermehrungspotential, sind aber langfrsitig wenig kompetetiv (auch hier gibt es Ausnahmen). Für die Kieselalgen im Riffaquarium kann man das aber durchaus so sagen.
Ein früher Korallenbesatz soll vor allem Makroalgen frühzeitig bezgl. einer Nährstoff- und Raumkonkurrenz das Leben schwer machen. Wie auch immer, man sollte mich dahingehend verstehen, dass diese Vorgehensweise nichts primär mit sangokai zu tun hat, sondern mit meiner Auffassung darüber, wie Biotope und ganze Ökosysteme funktionieren, und welche Verantwortung der Aquarianer übernimmt, wenn er sich dazu entscheidet, einen Lebensraum zu schaffen. Kein Gärtner beschwert sich darüber, dass seine Erde mit Unkraut durchwächst, wenn er nicht rechtzeitig das pflanzt, was wachsen soll. Das ist im Aquarium nicht anders.
Mit der klassischen Balling-Methode, wie Du mich interpretierst, ist es so auch nicht korrekt: ich habe Dir nicht davon abgeraten, sondern Dich darüber informiert, dass die klassische Balling-Methode von einem äquivalenten Verbrauch von Calcium und Carbonaten ausgeht, und hierbei eben auch ein entsprechend ausbalanciertes Verhältnis zwischen dem Calcium und KH-Verbrauch vorliegen muss. Du hast in diesem Fall eine deutlich zu hohe KH gehabt, die klassische Balling-Methode würde Dir jetzt sagen, dass Du bei einem angenommenen Calciudmefizit auch "KH-Lösung" dosieren musst. Das wäre aber praktisch unsinnig, weil Du ohnehin schon einen enormen Ausfällungsdruck auf dem Calciumgehalt durch die hohe KH hast. Jetzt sagst Du, "schon heftig was eine Koralle so verbraucht". Nein, Deine Koralle hat wahrscheinlich noch nix verbraucht, das sind schlicht und ergreifend chemische Ausfällungen, die dadurch zustande kommen, dass Du bezogen auf Deine Calciumkonzentration einen zu hohen Carbonatgehalt im Wasser hast. Und Calcium und Carbonat reagiert nun mal zu Kalk. Hier liegt der Zusammenhang. Du musst jetzt einfach Deinen Calciumgehalt überprüfen und diesen stabil bei 415-420 mg/L halten, Deine KH wird automatisch fallen, und bis diese auf einem normalen Niveau liegt und diesen dann irgendwann anfängt zu verlassen (unter 6,5-7°dKH), musst Du kein Natriumhydrogencarbonat dosieren. Deshalb ist die klassische Balling-Methode v.a. jetzt nichts für Dich. Hier musst Du Defizite individuell ausgleichen.
Was die Natriukonzentration angeht, die Herr Lehmann anspricht, muss man denke ich auch den Triton-Hintergrund bei Herr Lehmann sehen. Ich hoffe, ich darf das so offen ansprechen. Aus Sicht eines Meereschemikers ist die Meerwasserzusammensetzung eine Konstante, und es besteht durchaus die Rechtmäßigkeit darin, die Meerwasserzusammensetzung auch aus aquaristischer Sicht soweit zu kontrollieren, dass wir eine möglichst optimale Annäherung an die natürliche Meerwasserzusammensetzung (bezogen auf die Massenelemente) erreichen. Diesen Ansatz verfolgt die Triton Methode.
Der Natrium- bzw. Chloridanteil im Meerwasser ist gegenüber anderen Massenelementen extrem hoch, d.h. dass aus biologischer Sicht der Einfluß der Natrium- und Chloridkonzentration im Meerwasser bei voll mariner Salinität mehr oder weniger Vernachlässigbar ist, weil sowohl für Natrium als auch Chlorid separate Ionenpumpen in den Zellen vorliegen, die für einen Konzentrationsausgleich sorgen. Tatsächlich negative praktische Auswirkungen durch einen zu hohen Natrium- oder Chloridanteil konnte ich nie feststellen, bzw. ich kenne keine Aquarienprobleme, die darauf zurückzuführen wären.
Wir gehen immer davon aus, dass die Meersalzmischungen so gemischt sind, wie es uns die Natur vorgibt. Dem ist aber leider nicht so. Das fängt bei der Rezeptur an, geht über die Mischung der Salze weiter und hört bei der Abfüllung der Salze in die Eimer und Kartons auf. Daher finde ich die Diskussion über Ionenverschiebungen immer sehr mühselig, weil wir nicht auf Basis einer natürlichen Zusammensetzung beginnen und Veränderungen auf einer solchen Grundlage betrachten, sondern weil wir möglicherweise schon von vorne herein mit keiner optimalen Mischung arbeiten, und uns eine Diskussionsgrundlage daher nicht gegeben ist.
Beni, Du schreibst weiterhin, Du wolltest das Becken während Deiner kurzen Abwesenheit lieber nicht weiter besetzen. So frei wie Dir das von der Lippe geht, behaupte ich frank und frei, dass ich das Becken in dieser kurzen Zeit lieber nicht brach liegen lassen würde Zwei Perspektiven, ich kann Deine verstehen, aber verstehe auch meine. In der Startzeit, wo es um Zugewinn an ökologischer Stabilität geht, ist ein Pausieren entsprechend meiner Auffassung falsch, weil Du Nährstoffe, Substrat und Licht der Natur überläßt. Die Natur hat den Lebensraum aber nicht geschaffen, sondern Du! Das ist durchaus ein Unterschied.
Soviel nochmal zu allgemeinen Dingen. Deine derzeitige Mikroalgenphase wird schnell verschwinden, wenn nicht, mußt Du Dich idealerweise um eine mikroskopoische Untersuchung bemühen und ggf. auch einen Silikattest machen.
Grüße
Jörg